Donnerstag, 31. Januar 2008

Adams Freundin, essgestört, er erzählt mir von Fressanfällen, Heißhungerattacken, Aufenthalten in Kliniken, Therapien. Sein Entsetzen darüber, dass er nichts bemerkt hat, dass sie es ihm erst Jahre später erzählte, als sie längst kein Paar mehr waren und in unterschiedlichen Städten lebten. Er hat nichts gemerkt. Was ist mir damals entgangen? Was für dunkle Seiten hat er vor mir verborgen? Was hätte ich merken sollen? Und wird er es mir auch eines Tages erzählen?

Das Idealbild: Zwei Kometen auf ihrem Weg durchs Weltall, die aneinander vorbeigleiten, sich grüßen, ohne sich gegenseitig zu verändern oder zu beeinflussen. Oft jedoch Kugeln, die sich rammen und Dellen hinterlassen, unterschiedliche Größen, Materialien, Stoßkräfte. Und dann wieder das Gefühl, nur Zwischenraum sein zu können, von allen Kugeln eingequetscht und nur dieses seltsam deformierte Reststück Luft dazwischen. Ich bin keine Kugel, habe keine feste Form. Warum immer wieder dieses Wort "Vergewaltigung"?

Adam, der seine Geschichte in mich hineinstopft "hör zu", Eva mit ihren undurchschaubaren Gefühlen "geh nicht", diese Person mit ihrem unerfüllbaren Anspruch "liebe mich". Bilde ich mir das alles nur ein? Erzähle ich Geschichten in sie hinein, um wenigstens in der Phantasie Macht über sie zu haben? Die Fäden in der Hand zu halten? Eine Kugel mit fester Kontur, sich selbst und den anderen Gestalt geben? Was für eine armselige Kreatur, welch matter Ablglanz im Vergleich zum Leben.

Mittwoch, 30. Januar 2008

Umdeutung der Wirklichkeit: Ein Alptraum ist doch gar nicht so schlimm, Menschen, die im Traum sterben, leben meist besonders lange, kein Grund zum Fürchten, im Hellen zerrinnt die Angst, das Entsetzen, die Panik. Also alles bestens? Im Gegenteil. Die eigenen Gefühle und Empfindungen werden fragwürdig, auch die der anderen. Wenn alles nur davon abhängt, wie man es sich oder anderen suggeriert, sind Gefühle überflüssig, führen in die Irre und täuschen. Aber wer täuscht hier wen?`Und aus welchem Grund bzw. was ist das Ziel? Was kann ich glauben, was ist "echt"? Mein Alptraum geht in den Untergrund, um sich selbst zu schützen, seine Bilder verschwinden sofort beim Aufwachen, was bleibt ist das Gefühl eines schrecklichen Alptraums. Unerklärlich, doch damit gleichzeitig nicht weg-zu-erklären.

Als Kind den ungeheuren Bewegungsdrang im Hüpfsack verhüpft, bis zum Einschlafen in völliger Erschöpfung. Was hat mich damals so bewegt? Ich kenne die Kurzfilme von meinem Papa, 3 Minuten nur Gehüpfe, eine Ewigkeit und doch so bezeichnend.

Und Eva, die plötzlich nicht mehr sitzen kann und einen kleinen Spaziergang vorschlägt, mit mir, dieses quer durch die Stadt und wieder zurück. Der Weg ohne Bedeutung nur Gehen wichtig. Ihr plötzlicher Hunger, als wir an einem McDonalds vorbeikommen. Sie kauft sich einen Hamburger, wir setzen uns, ich ihr gegenüber, betrachte sie beim Essen. Hastig, wie atemlos, es geht nicht darum, einen körperlichen Hunger zu stillen, auch nicht ums Genießen. Essen als Strafe, als Selbstbestrafung, zwanghaft, gierig, Ersatz für etwas völlig Unmögliches, Undenkbares. Nein, diese Überlegungen treffen eher auf mich selbst zu, ich verstecke sie nur in sie hinein, rede von ihr, um von mir abzulenken.

Dienstag, 29. Januar 2008

Die Gleichförmigkeit in Personen, Geschichten, kann es Zufall sein? Und überall höre, sehe ich Verweise auf Adam. Diese Person mit ihrer langjährigen Beziehung, immer wieder zum Thema 3 oder über 3 Jahre, Verlassenwerden, Vergewaltigung. Warum assoziiere ich selbst bei Vergewaltigung Adam? Erzählt hat er mir sowas nie, auch nicht mit seiner Freundin, doch, nein, das muss ich missverstanden haben. Ich weiss schon gar nicht mehr genau, was er mir alles erzählt hat. Liegt ja auch schon Jahre zurück.

Café als Heimat, eintauchen in Anonymität, ungestörtes Beobachten. Problem des Lieblingscafés: man ist sehr schnell zu bekannt, wird gegrüßt, bekommt unaufgefordert seinen Tee vor die Nase gestellt, hat seine Rolle als stiller Beobachter, Einzelgänger, ist festgenagelt, kein Spielraum, keine Entscheidungsmöglichkeit. Andere, die für einen entscheiden: übers Getränk, über Gesellschaft, indem sie sich zu einem setzen. Der Handlungsspielraum wird zunehmend geringer. Irgendwann komplett gefesselt.

Diese Person, ich will sie nicht mehr treffen, will nicht in diesen Sog des "du musst..." geraten, will nicht hören. Selbst meine Gefühle werden kontrolliert. Irgendwann wird sie mich zwingen, sie zu küssen, mit ihr zu schlafen, eine Beziehung zu ihr aufzunehmen, allein die Vorstellung bringt mich um. Plötzlich die Szene aus "Mario und der Zauberer" vor Augen, willenloser Kuss in Trance. Ich kann mich nicht einmal darauf hinausreden, denn objektiv betrachtet findet keine Hypnose statt. Warum kann ich trotzdem meine Beine nicht kontrollieren, aufstehn und weggehn, was hindert mich?

Sonntag, 27. Januar 2008

Diese bleierne Müdigkeit, gerade noch genug Entschlusskraft, um ins Café zu gehen. Nein, nicht in mein Lieblingscafé, dort könnte jemand sein, der mich kennt, ich fürchte einen erneuten "Überfall". Wie betäubt dasitzen, Milchkaffee trinken, ich kann keinen Tee mehr sehn. Veränderungen, äußerlich nur und doch so vielsagend. Wer bist du und warum verfolgst du mich? Ich will dich nicht hören. Will nicht einwilligen in deine Realität.

Aufwachen aus unbekannten Träumen, aufgestaute Energie, aufgewühltes Etwas, das sich nur in verstärktem Bewegungsdrang oder völliger Erschöpfung bemerkbar macht. Ich bin gefühlsblind, benutze meinen Körper wie einen Blindenstock. Er lässt mich erkennen, das ein Hindernis im Weg liegt, doch sehen kann ich es deshalb noch lange nicht. Sollte ich jetzt traurig sein? Oder wütend? Erschrocken oder ängstlich? Ich habe abgeschaltet, spüre nichts und kann doch nicht sagen, es ist alles in Ordnung.

Ich hänge an Adam, weil er nie die Grenze überschritten hat, nicht mal in Frage gestellt. Er, der mir ständig vor Augen führte, wie mies Männer sind, war selbst nicht so oder verhielt sich zumindest nicht so. Ich machte mich lustig über die Klappliege und war insgeheim dankbar. Meine Küsschen rechts und links durften kindlich bleiben, er versuchte nie sie umzudeuten.

Samstag, 26. Januar 2008

Kann der mit Wasser vollgesogene Schwamm noch zwischen sich und Wasser unterscheiden? Kann er eine spezifische Schwammstruktur aufrechterhalten und sich "spüren"? Im Gespräch mit anderen bin ich oft völlig erfüllt mit dem anderen, ich löse mich auf, um für seine Geschichte Platz zu machen. Nein, nicht nur dafür, er selbst verdrängt mein Ich mit seiner so viel stärkeren und eindeutigeren Präsens. Ich gibt es nicht mehr, wie soll es da zu echter Begegnung kommen?

Adam der Warner, der Realist, Prophet in der Wüste. "Männer sind hoffnungslos verdorben, und selbst wenn sie sich vordergründig mit Freundschaft zufriedengeben, zumindest in Gedanken werden sie sich vorstellen, wie es wohl wäre, mit dir zu schlafen. Und sie spekulieren auf den Zeitfaktor und hoffen darauf, dass sie dich irgendwann doch noch ins Bett bekommen. Lass dich nicht drauf ein, Freundschaft zwischen Mann und Frau funktioniert nicht, jeder der was anderes behauptet lügt. " Ich glaube ihm nicht, akzeptiere nicht, will mich lieber "blind und naiv" schimpfen lassen, will nicht jetzt schon verlieren, was ich nie besitzen werde, seine Freundschaft, Adam als Freund.

Und wieder ist da jemand, der mich warnt, Eva, Prophetin der Szene, erfahren und illusionslos. "Freundschaft zwischen Lesben? Unmöglich. Natürlich gibt es immer mal wieder Versuche, aber irgendwann verliebt sich doch zumindest eine in die andere, und das ist dann entweder bitter, wenn sich die andere nicht verliebt, oder die Freundschaft geht in eine Liebesbeziehung über, also versuchs erst gar nicht." Und da ist dieser leise Zweifel, ein Resignieren, keine Kraft mehr sich aufzulehnen. Ich kann nur weggehen. Aber wohin? Adams Echo wird mir aus zahlreichen Gesichtern entgegenkommen.

Freitag, 25. Januar 2008

Und wenn alles nach einem geheimen Plan abliefe, den wir nur nicht kennen? Wenn wir unter unseren Schädeldecken kleine Mikrochips eingepflanzt hätten? Ich habe eine kleine Unebenheit an meiner rechten Schläfe bemerkt.

Adam vor dem Spiegel, seine genaue Selbstinspektion, angefangen von den Zähnen, über Hautunregelmäßigkeiten, seine Haare, besonders die zu kaschierenden Geheimratsecken, die Rasur, Sorgfalt bis zur Pingeligkeit, sein Drang immer und immer wieder zu verbessern, zu korrigieren, sich kritisch zu begutachten. Natürlich weiß er, dass ich ihn belächle, er sieht mich im Spiegel, lacht selbstironisch, und will doch nur, dass ich ihn bewundere, dass ich sage "toll siehst du aus, Schwarm aller Frauen, zum Verlieben", oder etwas in der Richtung. Aber ich sage es nicht. Denke ich es?

Der feindliche Übergriff einer Frau, die sich ungefragt an meinen Tisch setzt und mir ihre Lebensgeschichte erzählt. Ihre gerade zerbrochene Beziehung, sie ist verlassen worden, nach 3 1/2 Jahren, ihre Vergewaltigung als sie gerade 11 war von ihrem Opa, bis 16. Und dabei dieses unausgesprochene "hör mir zu, geh nicht weg, stoß mich nicht zurück". Festgenagelt und überwältigt, zuhören müssen, unfähig mich zu bewegen. "Du musst zuhören, du bleibst hier, du musst mich lieben" und plötzlich ist da dieses Wort "Vergewaltigung". Aber das kann doch nicht sein, nein, das darf nicht sein.

Donnerstag, 24. Januar 2008

Adam vor dem Mikro in der Mensa. Er spricht für seine Hochschulgruppe, eine Art Wahlveranstaltung. Sein Eifer, sein Engagement, er ist mitreißend, man liebt ihn - oder hasst ihn, die Menge jubelt - schreit buh und pfeift, es brodelt. Bei den vorherigen Sprechern fühlte ich mich an Schulsprecherwahlen erinnert, jeder erzählt ein bisschen, was er vorhat und ist lieb und freundlich, und jeder in der Zuhörermenge weiß, dass ohnehin nichts verwirklicht werden wird. Und dann Adam, ein Geschoss, und plötzlich ist keiner mehr im Raum, den es kalt lässt, ob in der Bibliothek Spinde aufgestellt werden oder nicht. Ich frage mich, was hat sich geändert? Was hat er getan? Er wirkt als hätte er alles unter Kontrolle, als genieße er den Aufruhr, doch ich glaube ihm nicht. Ich kenne ähnliche Situationen und meine arrogante Gleichgültigkeit als hilflose Reaktion auf das Unfassbare.

Aufwachen aus einem Alptraum und keinerlei Erinnerung mehr daran haben, Folter. Zurück bleibt lediglich dieses peinigende Gefühl von Wissen und Nichtwissen. Es wäre besser genau zu wissen, klare Bilder zu haben, auch wenn sie schrecklich wären. So bleibt nur das vage unbestimmte Gefühl von Ohnmacht und Entsetzen zurück, ein schwarzes Loch in dessen Sog man gerät, unerklärlich.

Seine Gefühle einfach abstellen können, nur noch aus einem Kopf bestehen, Gedanken ja, schwierigste Überlegungen, doch Gefühle gestrichen, völlig emotionslos, ein Schalter ist umgestellt worden. Einerseits Erleichterung, leben ist einfacher und unkomplizierter, doch lässt sich andererseits dabei noch von "Leben" sprechen? Es ist ein nacktes Funktionieren. Soll es darauf hinauslaufen? Ist alles andere unerwünscht? Zu schwierig? Unverständlich? Anstrengend? Kompliziert? Eins jedenfalls ist sicher: Dieser Automat kommt zurecht und wird allgemein anerkannt, sein Leben ist vielleicht nicht besonders spektakulär, dafür jedoch kann er sich als nützliches Glied der Gemeinschaft fühlen. Ach so, fühlen kann er ja nicht.

Mittwoch, 23. Januar 2008

Adam wie in weite Ferne gerückt. Einmal habe ich noch versucht, ihn telefonisch zu erreichen, sein Anrufbeantworter, eine kurze Nachricht, doch bereits beim Auflegen die Gewissheit, er wird sich nicht melden. Plötzlich ist sie vorbei die Unruhe, das Drängende, mein Erzwingenwollen von Kontakt zu ihm. Meine Ruhe erschreckt mich, komme mir vor, als schaute ich vom Weltall hinunter auf Belanglosigkeiten auf der kleinen Erde. Ich habe die Leinen losgelassen, weit weg ist alles einschließlich Adam. Ich sollte glücklich sein, oder wenigstens erleichtert.

Eine Mondfinsternis hinter Wolken, unsichtbar für uns Menschen und doch findet sie statt, diese Ungeheuerlichkeit. Mond im Erdschatten, verschlungen von ewiger Finsternis, Hölle, und keiner ahnt etws davon, ungesehen ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit ungeschehen.

Wenn man sagen könnte, ich bin als Kind geschlagen, misshandelt oder missbraucht worden, wenn es etwas Greifbares gäbe, eine nachvollziehbare Begründung, dann könnte man daran arbeiten, sie verarbeiten, Zukunft wäre möglich.

Dienstag, 22. Januar 2008

Warum diese Gedanken, wieso beschwöre ich sein Bild in allen Einzelheiten, was will ich damit erreichen, was erhoffe ich mir davon? Ich kann ihn nicht festhalten, kann die Zeit nicht zurückdrehen, nicht wieder werden, wie ich in dieser Zeit war: naiv, Adam hatte vollkommen recht. Doch was nutzt mir mein Wissen, mein Erwachen aus dieser Naivität? Macht es die Welt besser, einfacher, verständlicher?

Manchmal wachte ich auf, mein Herz raste, ich wußte nicht warum, etwas hatte mich aufgeregt, im Traum? Im Übergang zum Tod? Keine Erinnerung nur das Gefühl kurz vor dem Absturz aufgewacht zu sein. Mein Herz wurde überprüft, Langzeit-/Belastungs-EKG - alles in Ordnung. Doch was bedeutet das schon.

Als Kind träumte ich einmal von einem Einweihungsritual, ich sollte Mitglied eines geheimen Ordens werden und als Zeichen bekam man einen persönlichen Stein. Tags darauf fand ich diesen Traumstein, es war genau der, von dem ich geträumt hatte. Ich war erschrocken, gleichzeitig ließ sich nicht mehr länger an einem Einweihungszeremoniell zweifeln. Ich war Mitglied dieses geheimen Bundes, sonst wußte ich jedoch nichts. Den Stein trug ich bei mir, lange, und natürlich wartete ich auf meine Aufgabe.

Montag, 21. Januar 2008

Jetzt ist es umgekehrt, ich versuche ihn zu erreichen, muss warten, versuche geduldig zu sein, kann es nicht. Aber da ist kein erlösender Anruf oder Brief, niemand der dieser Pein ein Ende setzt. Ich kann sie nur selbst beenden. Doch es bleibt ein schaler Geschmack von Versagen und Minderwertigkeit, kraftlos nachdem alle Energie sinnlos verpulvert.

Sein Halstuch, er trug immer so einen bunten Fetzen um den Hals, wie manche Hunde, es sah lustig aus, passte zu ihm, machte ihn unverwechselbar. Dazu das kragenlose weiße T-Shirt und eine Leder- oder Jeansjacke darüber. Und sein blassgrüner Armeerucksack, eng zusammengezogen, weil meist kaum was drin war. Seine enganliegenden Hosen, hochwasserkurz so dass man die Tennissocken sehen konnte. Es sei denn er hatte seine Springerstiefel an. Die Erscheinung war ungewohnt, wenn man bedachte, was für eine konservative CDU-Gesinnung dahintersteckte.

Immer wieder seine Augen, Teddybär-ähnliche Knopfaugen, dabei stets prüfend, durchdringend-hart, etwas spöttisch. Wie er selbst immer am Hin- und Herwandern, flackrig, nicht an einem Punkt zu halten, unruhig. Selbst wenn wir nur bei mir rumsaßen und rundum eigentlich nichts Ablenkendes war. Manchmal dachte ich, so sichert einer seine Umgebung ab, wenn er Angst hat entdeckt zu werden, aber entdeckt bei was? Oder von wem? War er auf der Flucht vor sich selbst, seiner rationalen Seite und fürchtete eingeholt und bloßgestellt zu werden?

Sonntag, 20. Januar 2008

Was soll ich von seinem Kriegseifer halten. Ist es Todessehnsucht? Will er im Großen die Fetzen fliegen sehen, weil er es im Kleinen nicht wagt? Geht es um das Unbeherrschte in ihm, das er stets unter Kontrolle halten muss? Er ist streng mit sich selbst, sehr streng.

Wenn er tot wäre... Er ist tot - für mich, denn totsein bedeutet unerreichbar, nicht ansprechbar, weg für immer, völlige Kontaktlosigkeit. Es wäre einfacher zu akzeptieren, wenn er tot wäre, es wäre nicht meine Schuld, so jedoch ist sein Schweigen peinigender Vorwurf, und ich kann nichts daran ändern, nichts wiedergutmachen. Es bleiben Vorwurf und Schuld.

Seine Telefonanrufe, morgens, abends, nachts, am Wochenende, wenn ich da war übersprudelnde Lebendigkeit, ich hörte zu, oft verabredeten wir uns noch spontan, er kam vorbei oder wir trafen uns in der Stadt oder an der Uni. Sonst ein Zettel von meinem Zimmernachbarn, "Adam, bittet um Rückruf, kann auch spät sein", ich rief zurück, hin und wieder war er schon am Einschlafen gewesen. Zuerst seine spröde Kühle, dann jedoch brach wieder seine Lebhaftigkeit durch. Seine zermürbende Warterei war zuende.

Samstag, 19. Januar 2008

Adam in einem Augenblick der Zärtlichkeit. Wieder einmal in meiner Studentenbude, auf meinem Sofa, Gespräch über was? Nichts mehr davon zurückgeblieben. Seine Hand, die Finger, die mit der Außenseite über mein Gesicht streichen, wie in Zeitlupe, jeder Moment ein Einzelbild, eingebrannt für die Ewigkeit. Dazu sein Blick, prüfend, skeptisch wie immer und gleichzeitig ein Flackern von Zügellosigkeit, er zieht die Hand zurück.

Warum hat er nie wieder eine längere erfüllte Beziehung gehabt? Oder weiß ich bloß nichts davon? Doch warum sollte er es mir verschweigen, wir sind Freunde, und er hat nie hinterm Berg gehalten mit seinen Eroberungen. Ich habe mich köstlich amüsiert. Er selbst nahm sich ja auch nicht so ganz ernst in dieser Hinsicht.

Ich lese:
Die Frauen sind mein Schicksal und ich schicke mich an, dieses "sal-hafte" auf Teufel und Verderb herauszufordern. Auch ist dieses Kind viel zu klein für mich (etwa deine Größe), aber ihre edle Anmut, ihre trotzigen Brüste, diese Aura um ihre Person und dazu ihre gottverdammte Natürlichkeit (die für mich sehr wichtig ist), diese ganzen Dinge haben diese 21jährige Göre in mein Hirn katapultiert und nun sind alle Schaltkreise blockiert. Und nun liege ich in meinem Bett, es ist 4 Uhr morgens und frage mich, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe. Ich konnte mich in ihrer Gegenwart kaum zurückhalten, meine gierigen Hände um ihren zierlichen Hals zu legen und ihre dunkle Haut zu erforschen. Sie ist sooooooo schöööööön! Ich glaube ich spinne. Wenn ich jetzt noch Beethovens 9. auflege - diese Symphonie des überschäumenden Lebens - drehe ich wohl endgültig ab und durch.

Donnerstag, 17. Januar 2008

Ich versuche mir Adam und seine Freundin im Bett vorzustellen, wie sie auf seinem überdimensionalen Lager miteinander schlafen, es gelingt nicht. Ich denke an seine eiligen Schritte, sein hektisches Vorwärts, die Atemlosigkeit, seine Unruhe, gemischt mit Gefühlen der Leidenschaft und Begierde, nein, das kann ich nicht. Schon die Vorstellung von einem nackten Adam ist beunruhigend, ich kenne ihn nicht mal in kurzen Hosen. Adam und Sex ist eine Gedankenkombination die unvorstellbar ist, obwohl er nicht prüde ist und so oft davon spricht.

Warum bin ich so versessen darauf, dass er mir antwortet, gerade jetzt, jahrelange Funkstille. Habe ich denn etwas vermisst? Habe ich an ihn gedacht? Oder ist es seine Unerreichbarkeit, die mich fasziniert, das Unmögliche der ganzen Aktion. Er wird nicht antworten, und ich weiß es.

Vielleicht suche ich in ihm nur ein Stück meines damaligen Ich, das ich bei ihm gelassen habe und das mir jetzt fehlt. Ziemlich egoistisch. Die Suche nach ihm entpuppt sich als Egotrip.

Dienstag, 15. Januar 2008

Meine Versuche ihn telefonisch zu erreichen, im Dienst wollte ich ihn eigentlich nicht anrufen, wer weiß wobei ich dann gerade störe. Dann doch auf seinen Anrufbeantworter gesprochen, natürlich ohne Reaktion. Ich gebe jedoch zu, ich bin telefonisch auch schwer zu erreichen. Schließlich als letzten Ausweg doch seine Dienstnummer, eine Vorzimmerdame, ich selbst geschäftsmäßig unterkühlt. Er freut sich, meint lachend ich sei wirklich hartnäckig, ich verweise auf seine eigene Hartnäckigkeit bei gewissen anderen Frauen, kleine Spöttelei unter Freunden, ich könnte zufrieden sein, er ist noch der Alte. Aber kann nicht alles auch nur gespielt sein? Um mich nicht zu kränken? Nicht zurückweisen zu müssen? Weil es einfacher ist? Verfluchte Unsicherheit!

Sein damaliges Briefpapier, selbstgestaltet mit einem kopierten Passphoto, das halbschräg in der oberen rechten Ecke mit einer kopierten Heftklammer befestigt zu sein scheint. Er wirkt auf dem Photo zu ernsthaft, das was ihn ausmacht ist verschwunden oder versteckt. Er selbst gefällt sich allerdings, es wirke seriös, vermutlich eines seiner Bewerbungsbilder.

Wann sehen wir uns wieder und wo und sind wir immer noch Freunde?

Montag, 14. Januar 2008

Seine Schwester erkrankt an Schizophrenie, sie ist jünger, dreht in der Schule plötzlich durch, redet merkwürdig, muss in die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Adam fällt aus allen Wolken, ist erschreckt, kann es nicht verstehen, einordnen und erzählt mir natürlich in seiner Ratlosigkeit alles. Warum ausgerechnet mir? Weiß er wie nahe am Kippen ich selbst bin? Ahnt er seine eigene Gefährdung? Ist seine immer hektischer werdende Betriebsamkeit nur ein Ausdruck davon?

Und immer wieder die Frage: Wer bist du? Leider scheint sich seine Theorie mehr und mehr zu verfestigen. Ich lerne zu dieser Zeit zahlreiche Männer kennen, kann mich prima mit ihnen unterhalten und bin entgeistert, wenn ich schließlich doch bemerke, dass sie nur mit mir ins Bett wollen, völlig unverständlich. Adam lacht natürlich, wenn ich ihm von einer weiteren Episode in meiner Fassungslosigkeit berichte. "Du bist eine attraktive Frau, da kann man nix machen." Ich wehre ab, glaube ihm kein Wort. Er wird unerwartet ernst, einen Moment lang fürchte ich mich vor ihm, "doch, du bist eine attraktive Frau", ich bin beschämt, als wäre es ein Makel, meine eigene Schuld, wenn sich Männer für mich interessieren. Doch Adam lacht, findet mich süß und freut sich über meine grenzenlose Naivität.

Adam, der jahrelang für mich keine Rolle spielt, völlig vergessen, sein Bild verblasst, kein Gedanke an ihn, keine Sorge wie es ihm wohl geht, was er macht. Dann taucht er plötzlich wieder auf, wie ein böser Geist, ein Mahner aus der Vergangenheit: Es gibt keine Zukunft, wenn du vor der Vergangenheit fliehst. Vor mir kannst du vielleicht fliehen, aber nicht vor dem, was mit mir verbunden ist und weit zurückreicht in deine Kindheit. Sieh dich um.

Sonntag, 13. Januar 2008

Ich habe seine Freundin sogar kurz kennengelernt. Er saß mit ihr im Unicafé beim Tee, und ich kam dazu. Sie waren kein Paar mehr, predigten aber lauthals gute Freundschaft. Er war souverän und gewandt wie immer, oberflächlich betrachtet nichts Besonderes, und doch war da eine unterdrückte Emotionalität, die mich als unbeteiligten Beobachter der Szene fast umwarf. Da tobte hinter gleichgültig-neutraler Fassade ein Machtkampf mit gewetzten Dolchen, ich spürte die Leidenschaft auf beiden Seiten und fragte mich nur, ist es leidenschaftliche Abwehr oder leidenschaftliche Begierde, hassen oder lieben sie.

Ja ich weiß, in seinen Augen war ich naiv, weil ich an die Freundschaft zwischen Mann und Frau glaubte, weil ich seinen "männlichen Realitätssinn" zurückwies und annahm, er und ich seien doch bereits ein gutes Gegenbeispiel. Ich habe ihn nie direkt gefragt, ob er denn, seiner Theorie zufolge, sich auch vorstellen würde, wie es sei mit mir zu schlafen, das erschien mir völlig absurd. Vielleicht hätte ich das tun sollen.

Er ist konservativ, war es schon damals, durch und durch CDU-geprägt, Disziplin im Studium erschien ihm dringend nötig, er selbst ein Vorzeigestudent, eingehaltene Regelstudienzeit, hochschulpolitisch engagiert, war auch für Studiengebühren, damit mehr Verantwortungsgefühl für die eigenen Ziele entstünde, nicht einfach so studieren, um sich einen schlauen Lenz zu machen oder weil man keine anderen Ideen hat.

Samstag, 12. Januar 2008

Selbst an den unteren Gliedern seiner Finger und am Ansatz des Handrückens diese feine goldbraune Behaarung, stundenlang könnte ich seinen Händen zuschauen, wie sie erzählen, und ganz plötzlich diese Weichheit in seinen Gesten, wo sonst so akzentuiert Härte und Entschlossenheit gezeigt wird.

Bin ich für ihn nur ein mahnender Geist seiner Vergangenheit, den man lieber verscheucht, weil er lästig und unbequem ist? Oder verkehrt er jetzt in Kreisen und mit Leuten, wo es sich nicht schickt, so ein "Blumenmädchen" aufzulesen? Vielleicht würde man über ihn lachen oder ihn nicht mehr ernstnehmen, wenn er weiterhin mit mir befreundet wäre?

Ich warte auf Antwort, die nicht kommt, vielleicht nie kommen wird, von einem Menschen, der mir unerklärlicherweise immer noch etwas bedeutet, den ich nicht einfach abschütteln kann wie die anderen. Er kann es.

Freitag, 11. Januar 2008

Es irritiert mich, dass er mir stets wieder das Gefühl vermittelt, alles sei in Ordnung, wenn wir zusammen sind, und danach ist er wie vom Erdboden verschluckt, ich kann nicht mal sagen, ob er überhaupt noch lebt.

Muss ich mich einfach damit abfinden, dass Freundschaften enden, wenn man weggeht? Ich habe oft den Wohnort gewechselt und immer wieder diese Erfahrung gemacht, da ist Adam kein Einzelfall. "Aus den Augen aus dem Sinn." Meist versuche ich noch eine Weile mit Briefeschreiben zu halten was doch nicht zu halten ist, dann gebe ich auf. Bei Adam gelingt es mir nicht aufzugeben, und ich weiß nicht warum.

Ich will Klarheit, ich erwarte in einer Freundschaft, dass es möglich ist, aufrichtig zu sein und sich nichts vorzuspielen. Daher mein letzter Brief. Ich schildere ihm meine Sicht, wie ich unsere Freundschaft damals erlebte und wie unverständlich mir noch immer ist, warum sich später alles so seltsam entwickelt. Ich bitte ihn, mir aufrichtig zu antworten, und wenn es sein letzter Freundschaftsdienst wäre, ich muss wissen warum.

Donnerstag, 10. Januar 2008

Wo ist die Zeit geblieben? Vor mehr als 10 Jahren lernte ich Adam kennen, es war im Frühjahr, Sommer, wie jetzt. Wenn ich so in der Sonne liege, fallen mir die Sonnentage von damals ein. Alles ist wieder da, Unileben, Studentenklima, eine besondere Atmosphäre, die vielleicht nur im Uni-Umkreis entsteht. Wir sind beide längst nicht mehr in diesem Umfeld, vielleicht wäre nie so etwas wie Freundschaft zwischen uns entstanden außerhalb der studentischen "Tropenzone", wo alles etwas üppiger, prachtvoller und schneller gedeiht.

Als ich ihn zuletzt auf meiner Rundreise kurz vor Weihnachten traf, war ich entschlossen, das Kapitel abzuschließen. Ich wollte ihn nur noch einmal treffen und ihn objektiv und unvoreingenommen von unserer gemeinsamen Vergangenheit beurteilen, aburteilen dachte ich insgeheim. Und dann muss ich sehen, dass da mehr ist als eine "Weißt-du-noch-damals"-Nostalgie, dass er anregend und mitreißend ist, dass wir zwar auch über damals aber vielmehr über alle möglichen Themen sprechen können, uns gegenseitig anfeuern. Die Freundschaft könnte durchaus eine Zukunft haben.

Wir haben uns nie geliebt. Wir haben nur unseren Liebesschmerz miteinander geteilt. Ich hatte mich kurz zuvor während der Abivorbereitungen in eine Mitschülerin verliebt, die natürlich völlig entgeistert war und mich heftig zurückwies. Aus Trotz himmelte ich im anschließenden Sommerpraktikum eine Krankenschwester an, natürlich auch völlig hoffnungslos. Und er mit den Scherben seiner dreijährigen Beziehung, wir passten prima zusammen.

Mittwoch, 9. Januar 2008

Warum war plötzlich Funkstille? Warum antwortete er nicht mehr auf Briefe, mails, Kartengrüße, Geburtstagsgeschenke o.ä.? War es ihm lästig, dass ich den Kontakt aufrechterhalten wollte? Warum sagte er es nicht? War ihm zuviel, was ich ihm an Zuneigung, Geschenken, Gedanken entgegenbrachte? Warum wies er mich nicht zurück? Warum ließ er es geschehen, wenn er den Kontakt nicht länger wollte?

Seine Art sich im Stuhl zu flegeln, tief hinuntergerutscht, die Beine weit von sich getreckt, hin und wieder ab Knie lässig überkreuzt, die Ellenbogen auf den Armlehnen aufgestützt, den Kopf etwas zwischen die Schultern gezogen, in beiden Händen die Teetasse, sein forschend-kritischer oder spöttischer Blick über den Rand hinweg. Meist ließ er seine Jacke an, es wirkte draufgängerisch, sollte vermutlich einen Hauch von Verdorbenheit demonstrieren.

Ich habe ihn später mal gefragt, warum er auf meine Grabsteinkündigung unserer Freundschaft nicht reagiert habe. Für ihn war das endgültig. Er war zwar fassungslos und entgeistert, wusste aber, dass er sich das mit seinem Verhalten selbst eingebrockt hatte und nun die Konsequenzen tragen musste. Er nahm mich ernster als ich es je getan habe. Ich hatte einen Schlussstrich gezogen und er akzeptierte ihn. Ich war fassungslos.

Dienstag, 8. Januar 2008

Wie vehement er sich fürs Schwulenreferat an der Uni einsetzte. Kein Wunder, dass viele dachten, er sei selbst "betroffen". Ihm ging es jedoch lediglich um Gerechtigkeit, es gab bereits ein Frauen/Lesbenreferat also musste man rein rational auch ein Schwulenreferat einrichten. Als er mir davon erzählte, das war lang vor meiner Zeit gewesen, wieder dieser leichte Spott um die Lippen, nicht ganz ernstzunehmen die ganze Angelegenheit, mit einer Handbewegung vom Tisch, weiter zum nächsten Thema.

Bei Feten war er eine etwas komische Figur: aß nicht, trank nicht, tanzte nicht, eilte von einem zum anderen, sprach 2-3 Sätze und setzte sich schnellstmöglich wieder ab, denn die meisten tranken und waren dementsprechend keine angemessenen Gesprächspartner mehr. Da war er froh, wenn er mit mir hingehen konnte, ich trank dann auch nichts und hörte mir lachend seine Vorträge über besoffene Studenten an, sofern das bei lauter Partymusik überhaupt möglich ist. Lang blieb er nie, das war ihm zuviel. Fürchtete er etwa schwach zu werden und doch mal zum Bier zu greifen? Vermutlich war seine Überheblichkeit aus Unsicherheit heraus geboren.

Ich mochte seine sehnigen Arme mit den feinen goldbraunen Häärchen, glatt, kein Kringel, fast feminin. Sie passten zu seinen Händen. Hin und wieder konnte ich mich nicht zurückhalten und strich über seinen Unterarm. Es war eigenartig wie impulsiv er reagierte. Oft zog er erschreckt den Arm weg, oder er schaute mich irritiert an, vergeblich nach meinen Beweggründen forschend. Dabei waren die Fronten zwischen uns von Anfang an klar.

Montag, 7. Januar 2008

Wie ist Adam, wenn ich nicht dabei bin? Wie ist er mit seiner Freundin, wie in den Vorlesungen, in Gegenwart von Professoren? Ich würde ihn gerne in seiner Familie erleben, seinen Eltern gegenüber, der jüngeren Schwester. Mit seinem älteren Bruder habe ich ihn erlebt, er mag ihn nicht, oder ist das Fassade wenn ich dabei bin? Er mokiert sich darüber, dass er gerne auf Parties geht und "nur" Wirtschaftswissenschaften studiert, rein materialistisch orientiert ist und mit Kumpels gerne Bier trinkt. Die beiden wohnen zusammen, sie gehen sich jedoch aus dem Weg, reine Notgemeinschaft könnte man meinen. Aber dann ist da dieses Glitzern in seinen Augen während er noch spottet und auch in den Augen des Bruders, als wäre alles nur Spiel, ein altes Ritual, ohne Bedeutung bzw. mit versteckter Bedeutung.

Wer bin ich, dass ich mir anmaße ein Bild von Adam zeichnen zu können, Details kann ich sammeln, doch wird nie ein Gesamtbild entstehen, nicht mal ansatzweise, er bleibt rätselhaft, unverständlich, weit entfernt von mir.

Warum ist er eigentlich weg aus seiner Heimatstadt? Er war ein sehr ortsverbundener Student damals, als ich ihn fragte, warum er nicht mal zum Studieren den Ort wechseln wollte, erklärte er mir lang und breit in welchen Strukturen er lebe, angefangen von Freundschaften über politische Verpflichtungen in diversen Verbänden, Gremien, die Verwurzelung erschien flächendeckend. Ich bewunderte einerseits diese Ortstreue, konnte sie aber andererseits nicht ganz nachvollziehen, ich hätte immer das Gefühl gehabt, etwas verpasst zu haben, wenn ich in meinem Wohnort geblieben wäre, vielleicht auch verkehrt.

Sonntag, 6. Januar 2008

Provokativ sitzt er im Unicafé draußen in der Sonne und liest die "Junge Freiheit", Käseblatt der rechten Szene, natürlich liest er auch die "TAZ", linke Szene und "FAZ, "Die Zeit" etc., als Politikstudent muss er sich umfassend informieren, aber dass es einen Aufschrei der Entrüstung geben wird, wenn er so öffentlich die "Junge Freiheit" liest, das weiß er, und er genießt es.

Was soll ich von seinen ausführlichen Erzählungen zu seiner Freundin halten, verarbeitet er damit die Trennung oder macht es ihn nur unglücklich, ist es Selbstquälerei oder Befreiung, Verrat oder Vertrauen. Manchmal möchte ich ihm den Mund zuhalten, es steht mir nicht zu, seine Schwärmereien zu hören, intime Details etc. Ich fürchte, er wird es bereuen, mir soviel erzählt zu haben. Seine Nacktheit beschämt mich, seine Offenheit mit der er sich ausliefert. Doch was soll ich tun? Ein Psychologe würde dabei Geld verdienen, ich verliere seine Freundschaft, vermutlich. Schon damals die Sorge, wie ich ihm nach so einem Geständnisabend im Halbdunkel auf der Couch am nächsten Tag gegenübertreten soll. Doch man traf sich ja an der Uni, öffentlicher Raum, Schutz und Sicherheit für uns beide.

Träge, faule Stunden in der Sonne auf der Bibliotheksterrasse. Auf dem Tisch scheinheilig ein paar Bücher verteilt, das Schreibzeug griffbereit, unbenutzt. Kaum sitzt man kommt ohnehin jemand den man kennt, sehr selten nur, dass man tatsächlich zum Arbeiten kommt. Adam und ich treffen uns oft hier, rein zufällig, zumindest nicht direkt verabredet. Die zweite Anlaufstelle, wenn der andere gerade nicht da ist, das Unicafé, im Sommersemester auf dem Platz davor, im Winter drinnen im 1. Stock. Adam sieht mich immer schon von weitem und winkt, egal ob allein oder mit Freunden, ich gehöre dazu.

Samstag, 5. Januar 2008

In gewisser Weise habe ich Narrenfreiheit. Ich bin ein Erstsemeser, nicht ganz ernstzunehmen. Nur so ist es zu erklären, dass ich ihn mit Küsschen und Umarmung begrüßen darf und ihn an der Hand nehmen. Geduldig und nachsichtig sein Lächeln, wenn seine Mitstudenten in der Nähe sind. Wahrscheinlich verflucht er mich innerlich. Doch ich habe keine Ahnung, wie man mit Männern umgeht und probiere daher verschiedenes aus. Ob ihn seine Freunde wegen mir aufzogen? Musste er erklären? Und wenn ja, wie? Hat er sich für mich geschämt?

Unser Treffen während meines Praktikums, Zeit als er die Bankangestellte hatte. Ich wollte gerade bei ihm klingeln, als er herauskommt, er will sich zwei Döner nebenan holen, jetzt jedoch disponiert er schnell um. Wir gehen in eine nahegelegene Kneipe und essen dort. Es ist gemütlich, wir haben einen kleinen Zweiertisch im oberen Teil unter der Dachschräge. Zum letzten Mal gesehen haben wir uns vor fast 5 Jahren, eine lange Zeit, vor allem weil zwischenzeitlich viel passiert ist. Und trotzdem wie immer, ich staune. Ich sitze ihm gegenüber, wie souverän noch immer, sein kleiner Flirt mit der Bedienung, charmant, ein Tausendsassa. Ich sehe ihn an, sehe seine Hände in Bewegung, seine akzentuierte Rede, die Überzeugungskraft. Und immer noch sind die Rollen klar verteilt: er ist der Lehrer, der Ältere, der Erfahrene, ich der Schüler, das naive Kind, das zuhört und staunt.

Könnte ich mir vorstellen mit ihm zusammen zu wohnen? In einer WG oder so? Nicht einfach zu beantworten. Spontanes Nein, aber eigentlich eher, weil ich generell lieber allein wohne und sei es in einem Minizimmer im Wohnheim, Hauptsache ich kann die Tür hinter mir zumachen. Doch mit Adam könnte ich es mir noch am ehesten vorstellen, wir würden uns wenig in die Quere kommen schätze ich.

Freitag, 4. Januar 2008

Politisch aktiv war er schon früh, engagierte sich bei den JU-lern, war Kreisvorsitzender o.ä. und hatte überall ein Wörtchen mitzureden. Ich dachte damals, dass er irgendwann sicher auch Politiker wird und sich einmischt in die Landes- und Bundespolitik.

Warum war er mit dem Kinostudenten befreundet? Die beiden waren total unterschiedlich, kannten sich aber wohl aus der gemeinsamen Militärzeit, so genau weiss ich es nicht. Der andere studierte Maschinenbau, ging gern auf Feten und in die Kneipe, trank Bier, Jim Beam und auch hin und wieder zuviel, war bereits verheiratet und absolut bodenständig. Ich war auch mit ihm befreundet, er warb mich fürs Unikino an, und er war durchaus liebenswert. Aber von mir aus wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass ausgerechnet er und Adam miteinander befreundet sein könnten. Was verband sie? Was hatten sie zusammen erlebt, dass eine jahrelange Verbindung entstehen konnte? Selbst jetzt halten sie noch den Kontakt und die Entfernung scheint bei ihnen kein Problem zu sein, fast bin ich neidisch.

Bei mir in meinem Studentenzimmer, Adam und ich auf dem Klappsofa, seine Stereoanlage vor uns, Dvorak, es wird langsam dunkel draußen, doch da keiner ein Bedürfnis nach Helligkeit hat, sitzen wir im Halbdämmer, lauschen, jeder in die eigenen Gedanken vertieft. Vor gut einem Jahr habe ich Abi gemacht, ich denke an meine Klassenkameradin, in die ich mich verliebt hatte und die mich so radikal ablehnte, als sie davon erfuhr. Verarbeitet ist diese Abfuhr noch lange nicht. Denkt Adam an seine Freundin? Wenn ich ihn so von der Seite betrachte, bin ich mir fast sicher, so nah und doch meilenweit entfernt voneinander.

Donnerstag, 3. Januar 2008

Und wie stolz er war, als er mir das Ergebnis seiner umfangreichen Recherche auf einem großen A4-Blatt präsentierte: Sämtliche Lokalitäten, Cafés, Discos, Treffs etc. der Homo-Szene, süß. Natürlich brannte er darauf, mit mir hinzugehen, ihm gefiel der Gedanke, mich zu verkuppeln oder zumindest etwas für mein Glück getan zu haben. Ich fand es zwar nett, aber gleichzeitig auch anmaßend. Als ob ich nicht selbständig genug wäre.

Ich lese:
Hallo, ich war einmal so unverschämt und habe mich nach speziellen "Einrichtungen" erkundigt, die du besuchen könntest:
1. Sonntags ab 24 Uhr "Spot(t)", das liegt in der Nähe der Leipziger Straße beim Hallenbad Ost
2. "Avokado", Schönfelder Straße, Kreuzung König-Wilhelm-Allee, wird angeblich von Frauen betrieben, ist sehr klein und eine Mischung aus Restaurant-Kneipe, an 2 Tagen in der Woche sind dort reine Frauenabende!
3. "Antigone", liegt bei der alten Hauptpost, ich habe leider den Straßennamen vergessen, dort ist jeden Sonntag abend "Homo-night", sehr poppiges Publikum
4. ...
...
...
Nun bin ich mit meinem Latein am Ende!
Ich hoffe du entschuldigst meine Aufdringlichkeit
Es macht mir sehr viel Spaß, mit dir die Zeit zu verbringen, ich genieße förmlich deine Gegenwart, muss wohl an deinem Wesen liegen. Daher freue ich mich jetzt schon wieder auf einen Spaziergang, etc. mit dir.

Um mich und unsere Freundschaft kämpfte er nicht. Er ließ es zu, dass ich ihm irgendwann später die Freundschaft aufkündigte. Er hatte nichts mehr von sich gegeben und weder brieflich noch per mail oder Postkarte wenigstens mal ein Lebenszeichen von sich gegeben. Also schickte ich ihm eine Art Grabinschrift mit "Hier ruht die Freundschaft von..., geb. ..., gest. ..." zugegeben etwas theatralisch und kindisch. Ich weiss, wenn ich so etwas von ihm bekommen hätte, ich hätte postwendend zurückgeschrieben und sei es auch nur ein "bist du jetzt total abgedreht", ich hätte das nicht auf mir sitzen lassen können.

Mittwoch, 2. Januar 2008

Ich ging damals regelmäßig ins Unikino, die Studenten, die das organisierten, kannten mich schon. Oft war ich etwas früh dran und setzte mich noch in die Sitzecke. Von dort konnte ich sowohl die Gruppe als auch die ankommenden Besucher gut beobachten. Und dann kam Adam, ich kannte ihn noch nicht, hatte ihn nur hin und wieder übers Unigelände flitzen sehen und mich über seine Eile gewundert, die Gangart des Otto-Normal-Studenten ist gemächlicher. Er kannte die Kinoleute und schoss sofort auf den "Chef" zu, offensichtlich ein alter Freund und fing wild zu erzählen an. Von meinem Platz aus konnte ich zwar nichts verstehen, doch allein sein Eifer und die Gestik dazu war sehenswert. Und dann stieß er an die Pinnwand hinter ihm, die mit lautem Krach abstürzte, wie er das hinbekommen hat, weiss ich nicht. Schlagartig verstummten alle Gespräche der wartenden Besucher, Köpfe drehten sich in seine Richtung, und er stand da, völlig aus seinem Redefluss gerissen, peinlich berührt und hilflos. Und da schaut er so zu mir rüber und hat dieses Lächeln in den Mundwinkeln und ich lächle auch, weil er mich rührt und über die vielen Menschen hinweg die stumme Bitte: du hast nichts gesehen.

Und was war das für eine Geschichte mit der Bankangestellten? Er hatte sich unsterblich in sie veliebt, war täglich zum Geld abheben gekommen, nur um sie zu sehen. Zum Kaffee hatte er sie auch eingeladen. Wie die Geschichte allerdings weiterging weiss ich gar nicht. Hat er sich später nochmal dazu geäußert? Ich hatte ihn zufällig zu dem Zeitpunkt seiner Anfangsverliebtheit besucht. Es war ein langweiliger Abend gewesen, nur um diese Bankangestellte kreisten seine Gedanken, und natürlich musste ich mir stundenlang anhören wie toll und schön und intelligent und geil, etc. diese Frau sei. Männer!

Er saß auf den Treppenstufen vor dem Wohnheim, sein Motorrad aufgebockt neben ihm und wartete geduldig. Ich kam spät heim, wie oft zu dieser Zeit, sah ihn schon von weitem. Sein Aufschauen als ich näherkomme, er hatte mir noch eine Frist von 20 Minuten gegeben, dann wäre er wieder gefahren, doch zum Glück bin ich rechtzeitig da. Ich frage mich, wie oft war ich wohl zu spät? Wie oft ist er unverrichteter Dinge wieder heimgefahren? Warum habe ich nie danach gefragt? Und warum haben wir uns fast nie verabredet? Selbst bei seinen Anrufen fragte er nie nach einem Treffen oder ob wir etwas zusammen machen wollten. Zufall, wenn wir uns trafen. Aber trifft man sich wirklich rein zufällig so oft?

Dienstag, 1. Januar 2008

Seine Belehrungen über Tee, die verschiedenen Sorten, von welchen Ländern, wann gepflückt, Blattgröße, Geschmack, Zubereitungsweise, wie lange welche Teesorte ziehen muss, um ihr spezielles Aroma voll entfalten zu können, die Geräte, die man benötigt, der Zucker, Teekultur in verschiedenen Ländern, Streitpunkt Milch, Uhrzeit, welche Wirkung, etc. Ich hörte zu, er war besessen von der Idee, mich bekehren zu können, ich war in seinen Augen ein Barbar, den man kultivieren musste, sein Eifer dabei rührend. Ich trank gern bei ihm eine speziell zubereitete Tasse Tee, aber ich trank auch gerne in der Unicafeteria Beuteltee mit Milch und Zucker.

Er hatte kein Abi, warum weiss ich nicht, ich fragte auch nicht nach, weil ich spürte, dass das ein wunder Punkt war. Allerdings machte er das Fachabi nach und studierte Sozialwesen. Das Grundstudium wurde ihm als Abiausgleich anerkannt, und so konnte er zu Politologie und Soziologie wechseln und einen Magisterabschluss machen. Er sprach hin und wieder auch von den ersten Semestern, doch blieb Sozialwesen und die Studenten für ihn immer etwas anrüchig, unterstes Niveau, nicht ernstzunehmen. Ich warf ihm Überheblichkeit vor. Er hatte jedoch die Hierarchien an der Uni voll verinnerlicht.

Warum fand er damals während seines Auslandssemesters in England Zeit, Briefe an mich zu schreiben? Neben seinen Arbeiten zum Studium, diversen Essays, Hausarbeiten, Referaten, Klausuren, neben hochschulpolitischen Aktivitäten und neben seiner heißen Affaire mit einer Austauschstudentin aus Israel? Von allem berichtete er lebhaft und ausführlich, ich hatte fast den Eindruck dabeizusein. Und warum ist ihm jetzt schon eine Postkarte mit 3 Zeilen an mich zuviel? Nicht mal zu einer SMS kann er sich aufraffen.