Sonntag, 29. Juni 2008

Ich wollte etwas sein, damals, als Kind, doch waren meine Vorstellungen nicht akzeptabel wie mir schien. Als ich erzählte, dass ich Bäurin auf einem großen Hof mit vielen Tieren sein will, bekam ich zu hören, wieviel Arbeit so ein Hof macht, dass man jeden Tag früh aufstehen muss und bis spät abends auf den Beinen ist. Dabei dieser Blick, Skepsis, Spott vielleicht, und ich begriff, das kannst du doch gar nicht. Mein Wunsch zum Zirkus zu gehen, wurde ähnlich aus den Angeln gehoben: als Artist muss man gelenkig und sportlich sein, als Zauberer und Jongleur schnell und geschickt, als Clown war ich zu ernsthaft und als Tierdompteur fehlte mir die Durchsetzungskraft, als Kartenverkäuferin würde ich mich schnell langweilen und Tierpfleger wäre ich auch bald leid. Meine Mutter schien mich durch und durch zu kennen und wo ich naiv-sorglos Luftschlösser baute, schoss sie ihre spitzen Pfeile der Realität dagegen. Und wie rettet man einen Traum vor den nackten Tatsachen? Mir fehlten die Argumente, vor allem jedoch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Zuversicht, dass etwas tatsächlich machbar ist.

Donnerstag, 26. Juni 2008

Mein Herr
warum versucht man anzuknüpfen an Fäden, die man selbst zerschnitten hat? War das Zerschneiden nur ein Test, wollte man sich von der Haltbarkeit überzeugen und war erschrocken, als man das lose Ende in der Hand hielt? Ja, wahrscheinlich habe ich Adam überschätzt, ihm zuviel zugetraut, zu naiv an ihn und seine beständige Freundschaft zu mir geglaubt. Ich wollte nicht sehen, dass sie vergänglich ist, dass sie vielleicht schon vor meiner Flucht am Absterben war. Vielleicht wäre auch ohne Flucht das Ende gekommen, vielleicht etwas später. Ich hasse Sie, weil Sie mich an ihn erinnern, weil Sie ihm in vielem so ähnlich sind. Es ist Ihnen gegenüber unfair, und ich versuche, in Ihnen einen eigenständigen Menschen zu sehen. Ich will nicht, dass die Vergangenheit die Zukunft schreibt, dass sich immer wieder früher gemachte Erfahrungen in gegenwärtige einmischen. Wenn man vergessen könnte, das Leben wäre einfacher.

Mittwoch, 25. Juni 2008

Gehirnwäsche, das Wort war aus dem Nichts aufgetaucht und entfaltete durch die darauffolgende Stille seine volle Wirkung. Es war absurd es in diesem Zusammenhang zu verwenden, viel zu stark, viel zu dramatisch für eine derart belanglose Situation: Ein Streit zwischen Mutter und Kind, die Wut des Kindes, die es nicht begründen kann und eine Mutter, die ihm erklärt, dass es dafür keinen Grund gibt. Wo ist die Wut hin verschwunden? Das ohnmächtige nach-Luft-schnappen, weil Worte der Erklärung fehlen, einfach nicht zur Verfügung stehen. Alle Worte und Erklärungen auf der Seite der Mutter. Aber das Wort ist gefallen, vielleicht zu stark, zu wuchtig und trotzdem erschreckend treffend. Schlimmer jedoch ist die daraus resultierende innere Gehirnwäsche, wenn Gedanken plötzlich abreißen, weil eine Art Fallbeil den Faden kappt. In dieser Richtung nicht weiterdenken, und das mit einer Schärfe, die keinen Widerspruch duldet. Suche nach Erkenntnis kann sich auf diese Weise als sehr schwierig erweisen und der Ausgang bleibt im Dunkeln.

Was wäre geschehen, wenn sich Adam damals in mich verliebt hätte? Wäre er mutig genug gewesen, dazu zu stehen und es mir mitzuteilen, auch wenn es aussichtslos gewesen wäre? Wäre es das? Wie hätte ich selbst reagiert? Ich wäre geflohen, aber das bin ich auch so, ohne seine Offenlegung und scheinbar grundlos. Meine Flucht setzte mich ins Unrecht, man flieht nicht grundlos. Ich habe keine Erklärung, keine Worte warum ich floh bzw. vor was, das macht mich verdächtig. Ich musste verrückt werden, um nicht vom übermächtigen Ansturm der nie gestellten aber im Raum hängenden Fragen erdrückt zu werden. Ich musste verrückt werden, damit die anderen ihr bisheriges Leben weiterleben konnten. Vielleicht war der Preis zu hoch, vielleicht war mein Opfer nichts wert.

Dienstag, 24. Juni 2008

Mein Herr
Sie wollen mir einreden, ich wolle Sie öfter sehen und flexibler? Wie kommen Sie bloß auf diese Idee? Kann es sein, dass Sie damit Ihre eigenen Wünsche zum Ausdruck bringen? Jetzt bin ich es der fragt, wie Sie darauf kommen, an was Sie das festmachen. Ich weiß, das ist unfair, deshalb frage ich nur in Gedanken und gehe bei unseren Treffen nicht weiter darauf ein. Sollten Sie jedoch auf dieser Behauptung bestehen, müssten wir wirklich ein ernstes Wörtchen miteinander reden. Ich fürchte mich davor, also schweigen Sie - bitte!

Sonntag, 22. Juni 2008

Gib mir das Gefühl, dass du mich brauchst - Ich brauche dich nicht - Gib mir das Gefühl, dass du mich brauchst - Ich brauche dich nicht - Gib mir das Gefühl, dass... o.k. natürlich brauche ich dich, du bist schließlich meine Mutter, wer sonst wird mich je so gut verstehen wie du, wem kann ich alles erzählen, was mich bedrückt, wer weiß alles über mich, natürlich du. Dieser Dialog hat nie so stattgefunden, doch unbewußt blieb das mein Gefühl, auch wenn ich erst jetzt in der Lage bin, Worte dafür zu finden. Nach Phasen großer Unabhängigkeit von ihr, fiel ich immer wieder zurück in völlige Abhängigkeit, sei es finanziell oder emotional, sei es dass ich krank wurde oder verrückt, ich wurde klein und unselbständig, damit sie eine Lösung finden und mein Leben wieder in Ordnung bringen konnte. Sie wurde stärker durch meine Schwäche, wuchs für mich ins Gigantische und Unvorstellbare, ihr nacheifern zu wollen grenzt an Größenwahn.

Samstag, 21. Juni 2008

Mein Herr
Sie sind wohl auch einer von denen, die glauben, alles auf der Welt ließe sich erklären und alles was sich erklären ließe, wäre folglich auch klar, doch das genau ist der große Irrtum. Es gibt genug Dinge zwischen Himmel und Erde, die auch durch Ihren Forscherdrang unerklärlich bleiben, und es gibt genug Erklärungen, die völlig nichtssagend oder sogar Scheinerklärungen sind. Warum ich manchmal am Ende unserer Treffen das Gefühl habe, Sie sind amüsiert? An was sich das festmachen lässt? Warum ich an anderen Tagen denke, Sie sind mir böse? Oder verärgert, enttäuscht, ratlos? Und warum bin ich nur allzu bereit, mein erstes spontanes Gefühl zu verwerfen, wenn Sie mit Erklärungen für das Gegenteil ankommen? Ich weiche zurück, lasse mich überzeugen, weil mir selbst die Erklärungen fehlen, die imstande wären, Sie zu überzeugen. Aber es sind Worte mit denen Sie die Schlacht gewinnen und Worte, die mich in die Flucht schlagen und mein spontanes Gefühl erschossen zurücklassen.

Freitag, 20. Juni 2008

Plötzlich dieses Gefühl von Stillstand. Nein, keine weiteren Pappkameraden, vorgeschoben um ein viel grundlegenderes Problem zu verdecken. Weg mit dem ganzen Plunder, der erklären soll, warum mein Leben so und nicht anders verlaufen ist. Im Grunde ist es gar nicht verlaufen, es steht immer noch am Start und wird mit eiserner Hand zurückgehalten. Dieses armselige kleine Ich, das sich davor fürchtet loszugalloppieren und einen Sturz zu riskieren. Das sich nicht entscheiden kann nach rechts oder links zu gehen und lieber alle Möglichkeiten im Auge behält. Aber das ist ein Scheinleben, Entscheidungen müssen getroffen werden, Wege begangen, und wenn sich dann ein Weg als falsch oder Sackgasse entpuppt, dann kann man ja wieder zurück oder sich einen anderen Weg suchen, vielleicht findet man ja einen Schleichweg oder sogar eine Abkürzung, die man vom Start aus gar nicht sehen kann. Ich will wenigstens ehrlich sein.

Donnerstag, 19. Juni 2008

Mein Herr
können Sie sich vorstellen, wie froh ich war, als ich Eva und ihre Freundin wieder zusammen sah? So konnte ich wieder gegen eine Ungerechtigkeit rebellieren und mich gleichzeitig in der bequemen Sicherheit wiegen, einer möglichen Gerechtigkeit glücklicherweise entronnen zu sein. Mal ehrlich, ich bin einer Beziehung mit Eva doch gar nicht gewachsen. Die Rolle des Zuschauers ist mir doch viel angemessener. Wie mein Vater.

Mittwoch, 18. Juni 2008

Familie als Institution, unantastbare Einrichtung, durchaus positiv besetzt. Familienehre, Clan, Sippe, Zusammenhalt, gegenseitige Unterstützung, Verteidigung nach außen. Feindliches außen, ein Angreifer, der abgewehrt werden muss, Abschottung. Das "warum" bleibt im Dunkeln. Eingeschworene Gemeinschaft, du gehörst dazu, ob du willst oder nicht. Damit verbunden unausgesprochene Verhaltensregeln, über die nicht gesprochen wird, die aber einzuhalten sind. Z.B. nichts negatives Fremden gegenüber erzählen, innerhalb kann man hoffnungslos zerstritten sein, aber nach außen ist alles in Ordnung. Kritik untereinander ist erlaubt, aber davon müssen andere nichts wissen. Keine schmutzige Wäsche waschen. Ansonsten ist man ein Verräter, ein Nestbeschmutzer, undankbar, hinterhältig, unfair, ungerecht, gemein, verachtenswert, ein Abtrünniger. Verräter ist am schlimmsten, denn es impliziert Illoyalität und fehlenden Familiensinn. Wie eine Trutzburg gegen den Rest der Welt, einst als Schutz gedacht, verkehrt sie sich jetzt in ein Gefängnis. Die Welt wird nicht ausgesperrt, sondern man selbst ist darin eingesperrt und egal wie man es anstellt, man kommt nicht heraus, ohne die Familienbande zu zerreissen. Ein Verräter wer sowas überhaupt versucht.

Adam hat mir zugetraut an seinen hochwissenschaftlichen Gesprächen teilzunehmen. Er hat mich hineingezogen in seine Themen, die damit verbundenen Überlegungen, Einwände und Zweifel. Ich war ihm ein kompetenter Gesprächspartner, obwohl ich damals sehr viel jünger war und mein Studium gerade begonnen hatte. Ich kam ihm von einer anderen Seite, der Philosophie entgegen, so dass ein echter Austausch stattfinden konnte, eine gegenseitige Bereicherung. Auf emotionaler Ebene hätten wir uns auch weiterentwickeln können, doch es wäre ein Drahtseilakt gewesen, vor dem wir uns vermutlich beide scheuten. Möglicherweise bin ich was ihn betrifft vorschnell, aber was mich betrifft hätte er mich durchaus aus dem Gleichgewicht bringen können.