Donnerstag, 23. Oktober 2008

So fest umarmt werden, dass man gar keine Möglichkeit hat selbst zu umarmen. Jede Bewegung egal in welche Richtung kann nur als Abwehr und Widerstand verstanden werden. Und sicher will man nicht immer umarmt werden, eingewickelt und gefesselt mit dünnen Goldfäden, die sich als absolut reißfest erweisen. Wie die Fliege im Spinnennetz, je mehr man zappelt, desto mehr verfängt man sich, Entkommen unmöglich. Das Kind bekommt von klein auf die Aufgabe, das Wichtigste im Leben der Mutter zu sein. Es fragt nicht, ob es diese Aufgabe überhaupt bewältigen kann oder ob es richtig ist. Es versucht so gut wie möglich danach zu handeln. Das Kind wird größer, an der Aufgabe ändert sich nichts, es ist auch noch wichtigster Gesprächspartner. Einzig die Tatsache, dass es versucht, der jüngeren Schwester diese Last zu ersparen und sich schützend zwischen sie und die Mutter stellt, zeigt eine schwache Form von Widerstand, zementiert aber gleichzeitig die Aufgabe als wichtister Ansprechpartner. Das Kind wird erwachsen, aber es bleibt Kind, und es bleibt eingewickelt in Goldfäden, und es bleibt stumm.

Eva fallenlassen war Flucht. Die Frage ist warum und wovor, denn sie ist nicht die einzige, die ich meide, es ist fast schon ein Automatismus. Gefühl von Fremdbestimmung, es wird über mich verfügt, andere treffen Verabredungen, halten sich nicht daran, wollen dies und jenes von mir und gestatten gnädig, dass ich an ihrem Leben teilnehmen darf, solange ich nicht störe. Das Gefühl nicht mehr Herr über Raum und Zeit zu sein, nur noch ein Automat, den andere steuern, Kontrollverlust sowohl über Situationen, Entscheidungen als auch über mich und meine Gefühle. Etwas taut ein wenig auf was lieber tiefgefroren bleiben sollte. Angst vor der eigenen Wut und dem Hass auf alles und jeden speziell auf mich selbst. Die Wärme des anderen schon aus der Entfernung zu heiß, brennend, verbrennend für jemanden aus der Kälte. Wie erfrorene Hände, die im warmen Zimmer plötzlich unerträglich schmerzen, Flucht in Eis und Schnee, um dieser Pein zu entgehen. Doch will ich erfrieren?

Dienstag, 14. Oktober 2008

Mein Herr
Sie werfen mir vor, ich würde mich mit den falschen Fragen/Themen beschäftigen, doch was ist falsch daran zu fragen, wer schuld ist? Es ist wie ein "Thema verfehlt" beim Aufsatzschreiben. Wieder sind mir Dinge wichtig, die eigentlich unwichtig sind, wieder bestimmen andere, was wichtig zu sein hat, und was ist der Unterschied, ob Adam an meinen Fäden zieht und ich springe oder Sie? Sie wollen mir helfen? Sie wollen mit mir zusammen die Dinge anschauen und Licht ins Dunkle bringen? Ich sag Ihnen was Sie wollen, Sie wollen mich springen lassen, Sie wollen bestimmen, wo es langgeht, und mir Ihre Ansichten einimpfen. Ihr Verständnis ist scheinheilig, Sie verfolgen ganz andere Ziele, auch wenn ich nicht durchschauen kann welche, so weiß ich, es sind nicht meine! In Ihrer Gegenwart bin ich unfähig das zu erkennen, geschweige denn zu sagen, aber hier, wenn Sie keinen Einfluss mehr haben, hier kann ich ehrlich sein, kann mich retten, vor Ihrem allumfassenden Zugriff. Ich fürchte mich vor Ihnen, es kostet mich meine ganze Kraft, mich Ihnen gegenüber nicht zu verlieren. Und selbst wenn ich Ihnen das sagen könnte, Sie würden es nicht verstehen und vielleicht sogar lachen. Sie würden mir erklären, dass Sie keine böse Absichten haben, dass Sie mich nicht zerstören wollen, vielleicht wären Sie bestürzt, dass ich sowas annehmen könnte. Ihre Argumentation würde mich überzeugen und vernichten. Ich wäre der Schuldige und gleich doppelt weil die Frage nach Schuld Ihrer Meinung nach irrelevant ist, d.h. eine Beschäftigung damit überflüssig. Ich drehe mich im Kreis, daher will ich aufhören. Verständigung, so sehr ich sie mir auch wünsche, ist unmöglich. Machen Sie mir keine weiteren Vorwürfe, ich kann nicht.

Montag, 13. Oktober 2008

Das Kind ist zu empfindlich, es nimmt alles zu schwer, zu ernst, hat zuviel Phantasie, missversteht, missdeutet. Die Beruhigung kommt nicht an, im Gegenteil, erschreckt noch mehr, macht alles noch schlimmer. In der Erwachsenenwelt ist das also "normal", nicht der Rede wert, belanglos, eine unbedeutende Kleinigkeit, Alltag. Die Schuld liegt beim Kind, es lügt, es denkt sich Geschichten aus, es unterstellt wohlmeinenden Menschen böse Absichten, es ist gemein, schlägt um sich, wenn man sich ihm liebevoll nähert, stößt zurück, wenn es umarmt werden soll. Seine Gegenwehr zwecklos, es muss lernen, dass man Zärtlichkeiten nicht zurückweist, dass man böse undankbar ist, wenn man das tut, dass es geliebt wird, ob es will oder nicht.

Warum bestimmen immer andere darüber, wie nah sie mir kommen bzw. wie nah ich ihnen kommen darf? Warum hat Adam das Recht, wann immer er wollte zu mir zu kommen oder mich in Beschlag zu nehmen? Und warum bestimmte er das Ende unserer Freundschaft? Warum war ich im Gegenzug lästig, als ich so wie er früher einfach vor seiner Tür stand? Ich bin dieses Marionettensein leid, will nicht tanzen, wenn andere gerade Lust dazu haben. Und doch kann ich nur die Fäden durchschneiden, um mich zu verweigern, aber nicht selbst an den Fäden ziehen. Wie tanzt man ohne Fäden und ohne andere?

Freitag, 10. Oktober 2008

Mein Herr
gut dass Sie nicht da sind, ich müsste mich sehr beherrschen, Ihnen nicht das Gesicht zu zerkratzen, Sie Unmensch. Wie konnten Sie zulassen, dass ich Ihnen diese Geschichte mit dem befreundeten Ehepaar meiner Eltern erzähle? Mir dreht sich der Magen um, wenn ich nur daran denke. Wir haben uns diese Woche eindeutig zu oft getroffen, ich war leichtsinnig und nicht auf der Hut. Aber warum haben Sie mich nicht gestoppt? Ich hatte dieses unangenehme Gefühl seiner Berührung und seiner Küsse fast vergessen, aber jetzt durch das Erzählen ist alles wieder lebendig. Besonders dieses Gefühl der Wut und Empörung, dass seine Frau und meine Eltern ihn gewähren ließen, dass sie nicht nachvollziehen konnten, wie schlimm seine Nähe und seine Zärtlichkeiten für mich waren. Ich war ein Kind und er hatte Kinder nunmal gern, nahm sie in den Arm, streichelte und herzte sie. Wie hätte ich mein Erschrecken erklären sollen, wie in Worte fassen, was mich verstummen ließ? Auch jetzt habe ich nur wenige Worte, die für Sie genauso harmlos und unbedeutend klingen werden, den Sturm im Innern können Sie nicht sehen. Es wird mir schwerfallen, Ihnen wieder gegenüberzutreten, denn ganz ausschließen kann ich jetzt nicht mehr, dass Sie wissen! Und dieser Zweifel beschämt mich.

Dienstag, 7. Oktober 2008

Mein Herr
warum ich mich verpflichtet sehe zu danken, wenn mir jemand etwas schenkt, zu antworten, wenn mir jemand schreibt oder etwas fragt? Vielleicht weil ich selbst meist ohne Antwort bleibe, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, Briefe und Geschenke ins Leere zu werfen und nicht zu wissen, wo und ob sie ankommen. Andererseits kann ich nicht unbedarft schenken, weil ich den anderen keinen Dank "abnötigen" will. Selten nur, dass geben und nehmen unkompliziert sind. Bei Adam auch oft das Gefühl, wenn ich nichts mache, passiert nichts, verläuft die Freundschaft im Sand. Vielleicht falsch gedacht. Man sollte es darauf ankommen lassen. Ob ich dazu jedoch genug Geduld aufbringen kann? Ich muss ihn laufenlassen, vielleicht kommt er freiwillig zurück - irgendwann.

Sonntag, 5. Oktober 2008

Der Gehörlose im Café, der Zettel und kleine Figuren verteilt, erschreckend hässliche Figuren, kein Mensch will sie, bestenfalls gibt man ihm eine kleine Spende. Das Ritual des Verteilens, das leicht demütige Kopfneigen, lautlos natürlich, bittende Augen, weitergehn zum nächsten Tisch, später Wiederkommen zum Einsammeln, fragender Blick, meist muss er Figur und Zettel wieder einstecken, die Dankbarkeit für jede noch so kleine Spende, das Aufblitzen, sein kurzes, fast sprödes Lächeln, lautlos geformtes Danke der Lippen, fast ist man peinlich berührt, für so wenig so viel Dankbarkeit zu bekommen. Seine Lautlosigkeit ein merkwürdiges Geschenk, als wären mit dem Sprechen auch der größte Teil der Probleme zwischen den Menschen verschwunden. Man trifft sich auf einer anderen Ebene, vielleicht einer wertvolleren.

Ein Ei fällt hinunter, man erwartet, dass es aufschlägt und ist überrascht, wenn es heil bleibt und nur einen feinen Haarriss davonträgt. Man hebt es auf, vorsichtig, fast ein wenig misstrauisch, nein, tatsächlich nur der kleine Sprung. Dann diese grollende Stimme aus dem Nichts: "Ja, nur 3% kaputt, aber das können die entscheidenden sein, um das ganze Ei zu verderben." Woher dieser Kommentar? Und welche Bedeutung hat er? Können lächerliche 3% ein Ei zerstören? Oberflächlich betrachtet scheint nichts passiert zu sein.

Samstag, 4. Oktober 2008

Mein Herr
Sie selbst haben sich auf dieses Spiel eingelassen, Sie hätten sich doch denken können, dass es nicht bei dieser permanenten Harmonie bleiben kann. Spätestens seit dem Wegfall von Eva als Gegengewicht kann ich meine Wut nicht ständig im Zaum halten. Wie stellen Sie sich das vor? Ich habe Sie gewarnt, die Schwierigkeit in einer Beziehung ohne Fluchtmöglichkeit. Sie selbst haben mir Eva fast tadelnd vorgeworfen, doch es war ein Schutz - für Sie!
Lassen Sie mich gehn, versuchen Sie nicht, diese mörderische Wut in mir zu provozieren, nur weil Sie Lust auf Experimente und Action haben. Ich könnte es mir nie verzeihen, Ihnen gegenüber aggressiv zu werden, also spielen Sie nicht mit dem Feuer, ich warne Sie!

Freitag, 3. Oktober 2008

Das plötzliche Aufschrecken, wenn man eine vertraute Person unerwartet sieht, die Enttäuschung, wenn sie sich umdreht und ist jemand anderes. Die Geschichten, die Zeit, die mit dieser Person verbunden sind, werden lebendig, man kann sich nicht entziehen, ist in einer Flut von Erinnerungen, positiv oder negativ. Wie soll man sie stoppen, und wie ihr begegnen. Gibt es etwas anderes als wieder und wieder eintauchen, sich mitreißen lassen oder willentlich abstoppen und sich bewußt für die Gegenwart entscheiden? Wo führt es hin, wenn man sie aussperrt? Manchmal wünsche ich mir, ich könnte einen Schlußstrich unter diesen chaotischen Wust ziehen und nochmal neu anfangen.

Ständig wiederkehrender Traum: in einem Haus sein, das man kennen müsste, weil man schon dort war oder sogar eine zeitlang gewohnt hat, kein Erkennen. Man läuft durch Gänge, kommt an Zimmern vorbei, in denen wildfremde Menschen am Packen sind oder zumindest irgendwie im Aufbruch. Man bleibt stehen, schaut fasziniert zu, weiss dass man nicht dazugehört, nicht mitdarf, schaut und fragt sich, was man selbst hier wollte oder wohin man gehen sollte. Das eigene Ziel völlig aus den Augen verloren, keinerlei Zielstrebigkeit. Aufgabe des Beobachters ist es zu beobachten. Gebannt von den anderen, wozu bleibt unbeantwortet. Es gibt genug zu schauen und zu hören. Das Weinen der Mutter, die niemand tröstet. Man selbst nur ein Ersatz, der eigene Trostversuch mangelhaft, ungenügend. Und die Frage nach dem Warum ein Tabu. Man tröstet hilflos ohne zu verstehen und ist doch viel zu klein dazu. Später ähnliche Positionen: Trost spenden, wenn eine Beziehung scheitert, wenn Freunde gemein, unfair, abwesend sind. Das Gefühl Ersatz zu sein für etwas sehr Wertvolles und es darum nicht annähernd ersetzen zu können. Dieses "Du bist nicht er/sie, bleib hier", ein Befehl der fesselt und demütigt. Zu klein, zu jung, zu naiv, zu unerfahren, zu unernst, nicht erotisch, attraktiv, alt, klug, charmant genug, etc. Die eigene Mangelhaftigkeit körperlich spürbar. Alle im Aufbruch, aber du selbst darfst nie mit.

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Mein Herr
Sie sind doch auch einer von denen, die genau wissen was sie wollen und das auch tun. Sie wissen, was ihre eigenen Gedanken und Überzeugungen sind und woher ihre Wünsche und Ziele kommen. Sie stehen sicher auf der Erde. Und vielleicht geht es für mich darum, diese allzu Selbstsicheren wenigstens ein klein wenig zu verunsichern, ihnen nur andeutungsweise andere Seiten zu entdecken, die sie mit ihrem Scheuklappenblick nicht sehen können. Jede noch so unerschütterliche Meinung lässt sich ins Wanken bringen, für jede festgefahrene Meinung gibt es ein Gegenbeispiel. Und auch wenn ich gegen den Krieg bin muss ich doch fragen, was passiert wäre, wenn die Amerikaner im 2. Weltkrieg nicht eingegriffen hätten. Und wenn ich für den Krieg bin, z.B. im Dienste der guten Sache Demokratie und Menschenrechte muss ich mich doch fragen, wer unter den Bombenabwürfen und der Zerstörung zu leiden hat und ob mein Tun nicht genauso menschenverachtend ist wie das eines Diktators. Und wenn ich daher auf einen Kriegstreiber stoße, bin ich der Pazifist und ein radikaler Pazifist weckt in mir den Krieger. Es ist müßig den Kopf darüber zu schütteln, wie viele Menschen der Faszination Hitlers verfallen sind, ich befürchte, wenn heute einer überzeugend eine Patentlösung für die schlechte Wirtschaftslage, die vielen Arbeitslosen und das marode Gesundheitssystem aus dem Ärmel ziehen würde und entsprechend einer von den charismatischen Selbstgewissen wäre, er bräuchte sich um Anhänger nicht zu sorgen. Es ist Augenwischerei zu glauben, wir wären auch nur ein bisschen klüger geworden. Mich faszinieren diese Sicheren, ich staune, aber bisher bin ich noch wach genug, um wenigstens zu sticheln und an ihrem sicheren Stand zu rütteln.