Dienstag, 23. September 2008

Die kleine Schwester, die sich in einen jungen Mann verliebt, der ihrer großen Schwester ähnelt: fast genauso alt, vieles im Wesen und Auftreten, in Ansichten und im Umgang mit ihr ähnlich, die Rollen sind vertraut, jeder schlüpft übergangslos in die ihm zugewiesene Position und fühlt sich wohl darin, weil er sie von daheim bereits kennt. Die große Schwster erschreckt über diese Ähnlichkeit beim Kennenlernen, vieles was ihr negativ auffällt ist nur gespiegelt, negativ weil allzu bekannt. Die kleine Schwester sieht zu, wenn sich Freund und Schwester "duellieren", es ist fast so, als müsse das Revier neu markiert werden, alte Ansprüche stoßen auf neue. Die große Schwester weiß, dass ihre Ansprüche verjährt sind, ihr Platz ist besetzt und positiv ausgedrückt ist sie nun frei, trägt keine Verantwortung, muss keine Rücksicht nehmen. Die große Schwester ist plötzlich die Kleine, die Jüngere ist vorbeigestiefelt, kommt gar nicht auf die Idee, dass sich etwas geändert hat. Ein "ich brauche dich, geh nicht" ist unmöglich. Stolz und unbeteiligt bleibt sie zurück, kann nicht einmal weinen, als sie schon außer Sichtweite sind.

Gesetzt den Fall, Adam und ich hätten damals mehr füreinander empfunden als Freundschaft und Kumpelei. Mal angenommen es wäre möglich als Beteiligter objektiv zu urteilen. Da ist ein Mann und eine Frau, sie treffen sich fast täglich, sie unternehmen viel zusammen. Sie zögern den Abschied so lange wie möglich hinaus, lassen dafür Vorlesungen und Seminare sausen, verschieben Termine, verzichten aufs Einkaufen und Essen oder gehen gemeinsam. Andererseits vermeiden sie jegliche Berührung, jede Annäherung, ziehen ihre rituellen Begrüßungsküsschen ins Lächerliche und diskutieren rein sachbezogen. Wenn man auf intimere Themen zu sprechen kommt, wird emotionslos Argument um Argument gegeneinandergestellt, ein Disput, im besten Fall leicht ironisch, spöttisch, immer jedoch unbeteiligt. Auch seine Geschichte von der früheren Freundin, die er noch nicht überwunden zu haben vorgibt, sind objektiv betrachtet gezielt eingesetzte Manöver, um Distanz zu schaffen. Sicher nicht bewußt, aber unbewußt scheut er Nähe und damit verbunden mögliche Enttäuschung und Verlust. Doch nur so konnte er mich halten, so paradox das klingt, ich selbst wäre geflohen, wenn seine Freundin nicht im Hintergrund gewesen wäre, ich hätte mich nie so oft, so lange und so ausführlich mit ihm getroffen. Wenn ich es mit 2 Magneten vergleiche hat er genau die Distanz gewahrt, die nötig ist, damit sie nicht aneinanderklatschen und genau soviel Nähe zugelassen, dass die Anziehung gerade spürbar ist. Den Zwischenraum füllte seine Freundin. Jetzt erst verstehe ich, warum er sie auch später immer noch aus der Versenkung hervorholte und warum er irgendwann nur noch schweigen konnte. Es wäre absurd gewesen und unhaltbar, so weiterzuverfahren, und keiner von uns war in der Lage, einen neuen "Distanzschaffer" hervorzuzaubern. Unsere hoffnungsvolle Frage "hast du inzwischen eine Freundin?" ging ins Leere und bevor die Magneten aufeinanderklatschten schossen wir sie in entgegengesetzte Richtungen. Meine Versuche, die Freundschaft zu retten sind vergeblich, solange ich keine Freundin habe und er auch allein lebt. Objektiv betrachtet war genügend Interesse füreinander da, doch das von vorneherein von beiden beschlossene kategorische "Nein" war unüberwindbar stark.

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