Freitag, 28. März 2008

"Ich weiß alles von dir", der Mann setzt sich unaufgefordert zu mir an den Tisch, sieht mich an, rückt näher, spricht dicht an meinem Ohr, vermutlich nur, weil die Musik so laut ist, doch für mich entsteht der Eindruck einer feindlichen Übernahme. "Ich hab dich mit deinem Hund gesehen, wir haben auch schon kurz zusammen gesprochen". Ich muss mich besinnen, er hat recht, damals war er in Begleitung einer Frau, die sich zuerst auf meinen Hund gestürzt hat und ganz begeistert war, daher ist er mir nicht im Gedächtnis geblieben. "Als ich dich sah, hatte ich das Gefühl, alles über dich zu wissen", ich warte, was heißt schon "alles". "Du bist lesbisch und du hast Probleme". Wow, und das ist also "alles", was es über mich zu wissen gibt? Er erzählt mir von seiner Drogenvergangenheit, von Extasy und Zuständen, in denen man plötzlich ganz wach und wissend zu sein scheint. Ich bin mal wieder Zuhörer, geduldig, offen. Ich frage mich oft, warum erzählen mir wildfremde Menschen ihr Lebensschicksal, und warum bereits nach 2-3 Sätzen? Warum heucheln sie erst Interesse an mir, wenn es ohnehin nur darum geht, die eigene Geschichte endlich loszuwerden? Es ist nicht das Überschüttetwerden, sondern diese Heuchelei im Vorfeld. Es wäre einfacher, wenn sie mich fragen würden "sag mal, hast du was dagegen, wenn ich dir von mir erzähle, ich muss es einfach loswerden", das wäre aufrichtig. So jedoch bin ich gezwungen, ihre Maskerade mitzuspielen, muss sogar dankbar sein, wenn sich jemand zu mir setzt und sich mit mir unterhält, und obwohl ich derjenige bin, der zuhört und so Erleichterung verschafft, bleibe ich am Ende ausgesaugt wie von einem Vampir zurück.

Manchmal denke ich, es ist nicht zum Aushalten, dass Adam nicht antwortet. Ich weiss, es ist Unsinn darüber nachzugrübeln und sich mögliche Entschuldigungen auszudenken. Ich sehe ihn dann von der Arbeit heimkommen, es ist wieder spät geworden, er ist fertig, kann sich gerade noch schnell ein Brot machen, ein bisschen Musik hören, vielleicht die Zeitung durchblättern, die Beine ausstrecken, vor dem Fernseher einschlafen, erschöpft, allein. Morgens bis auf die letzte Sekunde im Bett bleiben, möglichst lang die Augen geschlossen halten, die Welt ausschließen, träumen, nicht denken. Der Tag wird wieder anstrengend, verlangt höchste Konzentration und vollen Einsatz. Wo bleibt da Zeit für einen Brief, für wenige Zeilen nur an eine Person, die ohnehin keine Rolle mehr im jetzigen Leben spielt? Nur ein blasser Schatten aus der Vergangenheit, der sich hartnäckig weigert, sich endlich verscheuchen zu lassen. Ich wünschte ich könnte mich in sein Gehirn einklinken und endlich wissen, warum der Faden von seiner Seite kommentarlos abgeschnitten wurde. Ich hasse ihn, weil er mich der Möglichkeit beraubt zu verstehen, was überhaupt vor sich geht. Sein Schweigen ist schlimmer als jeder Abschied. Weiß er das?

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