Mittwoch, 28. Januar 2009

Mein Herr
soll ich Ihnen den Verfall der Weiblichkeit erzählen? Soll ich Ihnen erzählen von den richtigen Frauen unserer Familie? Ich kenne sie nur aus Erzählungen, doch da ist z.B. meine Urgroßmutter, weit ausladende runde Formen, ein Po auf den man ein Tablett stellen könnte, ein Busen, der nur mit einem eng geschnürten Korsett zu bändigen war, dazu lange lockige Haare, aufgetürmt zu einer hochkomplizierten Steckfrisur. Die damalige Mode weit ausladende Röcke, Spitzchen an Kragen, Ärmel, Bluse, gestärkte Wäsche, Unterröcke. Die folgende Generation, meine Oma, ebenfalls weich und rund, in ihrem Busen konnte man als Kind versinken, die weiten Röcke und Schürzen boten Platz für Orangen, Spargel, Kartoffeln, dazu die Schüssel für die Schalen, den Abfall. Die Haare üppig und leicht gewellt, halblang um den ganzen Kopf herum toupiert oder in Wellen gelegt, der Eindruck eines riesigen Kopfes. Dazu viel Schmuck, zahlreiche dicke Ringe mit Steinen, Armbänder mit Spangen und Ketten mit Elfenbeinschnitzereien, Perlen, Broschen, Ohrringe wuchtig, massiv. Doch es passte zu ihr. Was bei meiner Mutter lächerlich gewirkt hätte, meine Oma konnte es tragen, es unterstrich in besonderer Weise ihre Lebensenergie. Für mich als Kind war sie wie eine Naturgewalt. Bei meiner Mutter wurde die Weiblichkeit diszipliniert, es galt, sich in einer Männerwelt durchzusetzen. Rundungen verschwanden in Kostümen, später Hosen, Eindruck von Strenge und Seriosität, mit Argumenten überzeugen, mit guter Arbeit Anerkennung erringen, alle Spuren die unterstellen könnten, der Erfolg beruhe auf nicht legalen weiblichen Tricks verwischen, bereits im Vorfeld unmöglich machen. Weiblichkeit war ein Störfaktor im beruflichen Umfeld, sie bewies unnachgiebig die Gleichwertigkeit von männlicher und weiblicher Arbeit, indem sie mindestens doppelt so viel an Einsatz, Disziplin, Gewissenhaftigkeit und Strenge zeigte. Sie musste überdurchschnittlich gut sein, um den "Makel" ihres Geschlechts auszugleichen. Im Vergleich zu ihrer Mutter war sie schmal, achtete auf ihr Gewicht, hatte einen kleinen Busen, wenig Po, Bauch, Hüften, Rundungen waren eher lästig und wurden sorgsam durch entsprechende Garderobe "kaschiert". Als Kind und Jugendliche wurden meine Rundungen, sprich Übergewicht auch kaschiert, was mich in der Annahme bestärkte, ich sei ein Monstrum. Später, als ich längst keine Gewichtssorgen mehr hatte, kleidete ich mich bewußt unweiblich mit Hosen, Pullis, Stiefel, Jacken, Kurzhaarschnitt ging ich oft als Junge durch, was mich amüsierte, jedenfalls nicht unangenehm war. Die Strenge hat teilweise abgefärbt, ich halte meine Gefühle unter Kontrolle, und will durch Leistung anerkannt werden, und nicht weil ich eine Frau bin. Ja, natürlich verleugne ich meine Weiblichkeit, aber nicht wie Sie es mir vorwerfen durch kurze Haare oder die Kleidung, nein, es ist die Weigerung zu sagen, ich bin eine Frau, die Weigerung zu akzeptieren, wenn andere sagen, du bist eine Frau oder sogar, du bist eine attraktive Frau. Wie soll ich das annehmen können, wenn ich selbst in dem Glauben aufgewachsen bin, ein Monstrum zu sein, wenn ich stets nur der gute Kumpel war, dem man von seinem Liebesleid vorheulte? Wie konnte ich ein Gespür dafür entwickeln, dass sich jemand für mich interessiert, wenn ich selbst mich überhaupt nicht für mich interessiere? Ich habe nur Verachtung für diese "Frau", die vor ihrer Weiblichkeit feige davonläuft. Doch um noch einmal auf die Haare zurückzukommen: Auch wenn weder Sie noch irgendjemand sonst es verstehen werden, genau an diesem Punkt kann ich meine Weiblichkeit ansatzweise annehmen, die kurzen Haare sind meine Form von Aufrichtigkeit, es wird nichts "kaschiert" und im Gegensatz zu Ihnen sind für mich gerade diese kurzen Haare, die meine Kopfform und mein Gesicht freilegen ein Ausdruck meiner Weiblichkeit. Man könnte sagen, über die Generationen betrachtet nimmt die Weiblichkeit mehr und mehr ab, aber vielleicht verändert sie sich und wir sind auf dem Weg zu einer neuen.

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